News vom 29.09.2021

Aktionstag
zur Glücksspielsucht

Der 29.9. ist der Aktionstag zur Glücksspielsucht der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen e.V. (HLS) Sie stellt heute einen Videoclip zur Glücksspielsucht vor. Er enthält Zitate von Klient*innen und Einblicke in die Fachberatung.

„Um an Geld zu kommen, habe ich das Dreirad meines Kindes verkauft.“ „Glaubt nicht den Versprechungen der Glücksspielindustrie!“ Diese Botschaften richten Klient*innen der hessischen Fachberatungen für Glücksspielsucht im Videoclip „Wenn Glücksspiel Leiden schafft“ an die Öffentlichkeit.

Die HLS und die regionalen Fachberatungen für Glücksspielsucht machen auf die Risiken von Glücksspielen und deren Auswirkungen aufmerksam: Kinder großziehen, ein Haus bauen wird fast unmöglich. Stattdessen bleiben Berge von Schulden und Schuldgefühlen.

Der Clip beschreibt persönliche Auswirkungen der Glücksspielsucht. Er ist auf unserer Homepage www.dwlw.de zu finden. In Hessen haben mehr als 31.000 Menschen Probleme mit Glücksspielen. Deren Angehörige sind stets mitbetroffen. ‚Pathologisches Glücksspielen‘ ist als eigenständige Krankheit anerkannt. Daher besteht ein Anspruch auf ambulante und stationäre Reha-Leistungen, die von den Rentenversicherungsträgern/Krankenkassen finanziert werden. Menschen, die ein pathologisches Glücksspielverhalten entwickeln, erhalten fachliche Unterstützung und Hilfe auch in unseren 15 hessischen Fachberatungen für Glücksspielsucht, z.B. im Diakonischen Werk Limburg-Weilburg. Weitere Informationen bietet die Internetseite der HLS unter www.hls-gluecksspielsucht.org

Glücksspielfachberatung im
Diakonischen Werk Limburg-Weilburg
Bahnhofsplatz 2a
65549 Limburg

Christine Heymer
06431-21 74 123

Glück im Spiel? – Pech in der Familienkasse!

Die Beratungsstelle beim Diakonischen Werk Limburg-Weilburg hilft

Von Gundula Stegemann

Eigentlich fängt es meist harmlos an, so wie bei G.: Mit seinen Arbeitskollegen geht er ab und an in eine Spielothek, just for fun. Anfangs gewinnt er immer mal was. Dann steigt der Adrenalinpegel. Endlich hat er Glück, denkt er. So leicht verdient er sein Geld sonst schließlich bei Weitem nicht. Aber dann spuckt der Automat nichts mehr aus. Verbissen versucht er, das verspielte Geld zurückzugewinnen. Schließlich hat es ja schon mal funktioniert. Aber es will einfach nicht klappen. Dabei hat er jedesmal das Gefühl, heute einen guten Lauf zu haben. Und es läuft tatsächlich – aber nur bergab. Jetzt geht er immer öfter spielen, setzt immer höhere Summen und verliert sie so schnell, wie er sie gesetzt hat. Je mehr er verliert, umso mehr spielt er und hofft auf den einen großen Gewinn. Das Loch in der Familienkasse wächst, sein schlechtes Gewissen auch. Immer dreister lügt er seine Frau an, die Stimmung daheim sinkt. Er ist zunehmend genervt und ungeduldig mit den Kindern. Der Gedanke an das verlorene Geld hämmert dauernd in seinem Hinterkopf. Wenn er nüchtern darüber nachdenkt, packt ihn die nackte Angst. Wie soll er das jemals wieder geradebiegen? Langsam dämmert ihm, dass er Hilfe braucht.

„Viele unserer Klienten melden sich, wenn sie an diesem Punkt sind“, berichtet Christine Heymer, Glücksspielsucht-Fachberaterin beim Diakonischen Werk Limburg-Weilburg. „Wer zu uns kommt, gesteht sich endlich ein, dass er allein nicht mehr aufhören kann, ist längst in eine ungesunde Abhängigkeit vom Automaten- oder Online-Casino-Spiel geraten. Viele sind froh, dass sie ihre Situation mal jemandem erzählen können, der sie nicht verurteilt. Dann können wir gemeinsam überlegen, welche nächsten Schritte möglich und sinnvoll sind.“

Die betroffenen Familien seien vielfach hoch belastet – nicht nur mit Schulden, weiß sie zu berichten. Denn typischerweise versuche der Spieler, seine Sucht vor seinem Umfeld, auch in der Familie, zu verbergen. Und das kostet enorme Anstrengungen und stresst. Viele haben zu Hause Ärger, weil das Geld nicht reicht, weil sie nie daheim, die Frauen in Not sind, weil die ganze Verantwortung auf ihnen lastet und sie nicht wissen, wovon sie die Familie ernähren sollen. Und wenn es daheim stressig wird, gehen die meisten erst recht wieder spielen, um dieses unangenehme Gefühl loszuwerden – ein ewiger Kreislauf. „Im Prinzip sind die Betroffenen erleichtert, wenn es herauskommt“, sagt Christine Heymer. Manche Spieler entwickelten auch Selbstmordgedanken, wenn sich die finanzielle Schlinge zuzieht und sie keine Perspektive mehr sehen, das Ruder herumreißen zu können. Andere greifen zu Drogen, um dem enormen Druck zu entfliehen.

Doch was kann die Beratungsstelle leisten? „Wir können den Betroffenen mit Gesprächen und verschiedenen verhaltenstherapeutischen Methoden helfen spielfrei zu werden, mit APPs zum Beispiel und einem Motivationsplan mit Selbstbelohnung.“ In einer solchen APP wird für jeden Tag ein Limit eingegeben und man kann eintragen, ob man das geschafft hat. Mit einem Selbstbelohnungssystem kann man sich selbst Anreize schaffen spielfrei zu bleiben. Die Berater geben aber auch Tipps für konkrete Risikosituationen, wenn man kurz davor ist spielen zu gehen: Sofort die Situation und Lokalität wechseln, jemanden anrufen oder sich vorher eine Alternative, möglichst eine körperliche Aktivität, überlegen wie Joggen, Radfahren – oder Duschen mit einem angenehmen Duft, Malen nach Zahlen, Handwerkeln… irgendetwas, was den Kopf beschäftigt und wegführt vom Sog des Spiels. „Wir raten auch immer, eine externe Vertrauensperson auszuwählen, die dem Betroffenen hilft, an Zielen zu arbeiten, einen so genannten Motivator, zu dem man ehrlich sein kann, vor dem man sich nicht schämt.“ Darüber hinaus versuchen die Berater mit dem Betroffenen zu erarbeiten, wozu er das Spiel braucht, was es bewirkt, was es bewirken soll und was es verhindert. Und wenn nötig vermitteln sie ihre Klienten in die Schuldnerberatung.

Etwa 31 000 Menschen in Hessen seien direkt betroffen von der Glücksspielsucht. Sie zocken in Spielcasinos, Spielhallen und viele zunehmend auch im Internet, online von zu Hause aus, völlig unbemerkt. Hinzu kommt die Zahl der als Angehörige Betroffenen. Mehr als 4 000 Online-Casino-Webseiten sind im Internet verfügbar. Wenn jede Seite nur einmal am Tag von einem Nutzer angeklickt würde, entspräche dies 4 000 Klicks am Tag und 120 000 im Monat. Allein in hessischen Spielhallen werden monatlich drei Millionen Euro verspielt, weiß Christine Heymer. Deutschlandweit erreicht die Branche Umsätze von mehreren Milliarden Euro. Gewinne streichen also vor allem die Betreiber ein. „Man kann mit Glücksspiel nicht wirklich reich werden“, sagt sie. „Möglicherweise gibt es Leute, die mit einem großen Gewinn rausgehen und zufrieden sind, aber die meisten denken: Das hat ein Mal geklappt, das klappt bestimmt wieder. Dann kehren sie zurück und verspielen den Gewinn in kurzer Zeit wieder.“

Seit 1. Juli ist das Online-Glücksspiel legalisiert. „Eine ganz perfide Sache“, findet die Theologin. „Denn das klingt zwar gut, dass man das Glücksspiel damit aus der Grauzone herausholen würde, aber der Staat verdient daran – über die Umsatzsteuer. Die Anbieter und der Staat machen Geld mit suchtkranken Menschen. Das kostet die Gesellschaft eine Menge Geld: Therapie, Reha… – das zahlen wir alle über unsere Beiträge mit.“ Es sei zwar ein Einsatzlimit festgelegt von 1 000 Euro im Monat, aber die meisten Betroffenen hätten gar kein so hohes Budget, könnten sich Einsätze in dieser Höhe gar nicht leisten und kommen somit trotzdem schnell in finanzielle Nöte.

„Am 1. August wurde das bundesweite Spielersperrsystem OASIS aktiviert“, so Christine Heymer. „Damit können Glücksspieler sich unkompliziert selbst sperren lassen und sich vor weiterem Spielen und vor Verlusten schützen.“ Seit der Neueinführung seien schon über 3 000 Anträge eingegangen. Das zeigt, wie hoch der Bedarf dafür ist.

Die Glücksspielsucht-Fachberater*innen der Diakonie Limburg-Weilburg beraten trotz Corona Montag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr, Telefon (0 64 31) 21 74-0. Beratung dazu sowie zu anderen Suchtfragen oder psychischen Belastungen auch online und auf Wunsch anonym per Chat unter www.dw-limburg-weilburg.de.